Cannabinoide: Physiologie, Pharmakologie und Indikationen

Das endogene Cannabinoidsystem: Aufrechterhaltung der Homöostase

Cannabinoide entfalten ihre Wirkung vorwiegend über die spezifische Rezeptoren CB1 und CB2. Cannabinoidrezeptoren sind G-Proteingekoppelte Rezeptoren, mit einer extrazellulären Bindungsstelle und intrazellulär gekoppelten Proteinen, die bei Aktivierung eine Kaskade an intrazellulären Reaktionen hervorrufen. Der CB1 Rezeptor (CB1R) wird von schmerzrelevanten Strukturen im ZNS und vielen verschiedenen Organen und Geweben (z.B. Fettgewebe, Darm, Reproduktionsorgane etc.) exprimiert und ist eingebunden in vielfältige physiologische Vorgänge im Organismus von Menschen und Wirbeltieren. Der CB2R findet sich überwiegend auf immunkompetenten Zellen (z.B. Milz, Makrophagen), unter pathologischen Bedingungen auch auf Mikroglia-Zellen im ZNS. Das endogene Cannabinoidsystem, bestehend aus Rezeptoren und Endocannabinoiden ist ein physiologisches tonisches Signalsystem, das bei vielen biologischen Prozessen die Signaltransduktion moduliert, mit dem Ziel, eine Homöostase im Organismus aufrecht zu erhalten. Veränderungen in diesem System können somit als Ursache oder Folge von Erkrankungen auftreten.

Im ZNS ist das endogene Cannabinoid-System an physiologischen Prozessen wie Schmerzverarbeitung, Motorik, Emotion, Appetitregulation und Nahrungsaufnahme beteiligt, woraus sich auch mögliche Indikationen für den medizinischen Einsatz ergeben. Die Bedeutung des Endocannabinoid-Systems im ZNS ist mit der regional stark unterschiedlichen Expression von CB1R assoziiert, eine besonders hoch ist diese in der Amygdala, der Substantia nigra, im Globus pallidus, Hippocampus und Cerebellum. Im Gegensatz dazu Expression von CBR im Hirnstamm (Atem- und Kreislaufzentrum) ist nur sehr gering.

Endocannabinoide sind im ZNS an der retrograden Signaltransduktion beteiligt. Das heißt, sie werden nach Depolarisation einer Nervenzelle postsynaptisch freigesetzt, diffundieren rückwärts durch den synaptischen Spalt und supprimieren präsynaptisch die weitere Freisetzung von Neurotransmittern. Je nachdem, wo im ZNS diese retrograde Hemmung stattfindet, wird die Freisetzung erregender oder hemmender Neurotransmitter durch das Endocannabinoidsystem reguliert. Im Hippocampus und Cerebellum wird beispielsweise die Signalübertragung von inhibitorischen GABA-ergen Nervenzellen durch CB1R moduliert. Endocannabinoide sind auch an der Modulation von Emotionen und Lernvorgängen (Konditionierung) in der Amygdala, der Regulation motorischer Aktivität in den Basalganglien und der zentralen Schmerzverarbeitung beteiligt. Die Modulation einer „überschießenden“ Freisetzung von Glutamat ist wesentlich für die neuroprotektiven Eigenschaften von Cannabinoiden und einer Schutzfunktion bei Schadensereignissen im ZNS. Darüber hinaus spielen indirekte, immunologische CB2R- vermittelte Mechanismen im ZNS wie z.B. die Migration von Mikrogliazellen, die Hemmung der Produktion des proinflammatorischen Zytokins TNF-alpha und des zytotoxischen Stickstoffmonoxids (NO) eine weitere wichtige Rolle. Man vermutet, dass die unter Entzündungsbedingungen produzierten Endocannabinoide Mikrogliazellen rekrutieren und lokal eine gewebeschädliche Überaktivierung unterdrücken (1,2).

Zentrale CB1R sind aber auch verantwortlich für die psychotropen Effekte der Cannabinoide. Weitere CB1R- vermittelte Effekte sind:

Cannabis und Cannabinoide

Natürliches Cannabis und Extrakte aus Drogenhanf enthalten neben Delta-9 Tetrahydrocannabinol (THC), dem am stärksten psychotrop wirksamen Inhaltsstoff und dem nicht psychoaktiven Cannabidiol (CBD) eine große Zahl von verschiedenen (bis zu 70 bisher bekannte) Cannabinoiden sowie weitere sekundäre Pflanzenstoffe (Terpene, Flavonoide etc.). Die Terpene sind auch verantwortlich für den charakteristischen Geruch und Geschmack. Im nativen Pflanzenmaterial liegen THC und CBD meist als Säuren vor und müssen erst durch Erhitzen (Verbrennen, Verdampfen, Backen von Cookies) decarboxyliert und in die aktive (phenolische) Form überführt werden. Die Wirkungen von Cannabiszubereitungen beruhen zumeist auf der Wirkung von THC an den Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2. Einzelne Effekte sind aber auch auf eine Interaktion mit anderen Rezeptorsystemen zurückzuführen. So wird beispielsweise angenommen, dass die Verminderung von Übelkeit und Erbrechen zum Teil durch eine antagonistische Wirkung am serotonergen 5-Hydroxytryptamin (HT)3-Rezeptor hervorgerufen wird.

Die in Österreich für medizinische Zwecke rezeptierbaren Cannabinoide sind Einzelsubstanzen mit genau definiertem Wirkstoffgehalt die entweder als Fertig- (Canemes®, Sativex®) oder Rezepturarzneimittel (Dronabinol, Cannabidiol) vorliegen. Zubereitungen und Produkte aus der ganzen Pflanze wie Cannabis oder Marijuana sind in Österreich nicht für medizinische Zwecke verfügbar. In Deutschland können seit 2016 aufgrund einer Gesetzesänderung (§31 Abs. 6 SGB V) einzelne PatientInnen mit schwerwiegenden Erkrankungen unter Einhaltung streng festgelegter Bedingungen einen Anspruch auf eine Versorgung mit medizinischem Cannabis haben. Es gibt Initiativen, medizinisches Cannabis als „natürliches Produkt“ freizugeben und man postuliert, dass die enthaltene Mischung der Inhaltsstoffe eine bessere Wirkung und ein günstigeres Nebenwirkungsprofil hätte, als die Einzelsubstanzen. Dies kann durch das Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen jedoch nicht belegt werden. Vom medizinischen Einsatz illegal erworbener Cannabisprodukte ist aufgrund des stark schwankenden THC-Gehalts (zwischen 1-20%) und möglicher Verunreinigungen durch Herbizide, Pestizide und Schimmelpilze abzuraten.

Rezeptierbare Cannabinoide mit psychotroper Wirkung

 

Delta-9 Tetrahydrocannabinol (Dronabinol, Fa. Bionorica Ethics)

Das äußerst lipophile ▵9THC unterliegt bei oraler Gabe einem hohen First-pass-Mechanismus in der Leber und einer langsamen und sehr variablen Resorption aus dem GI-Trakt mit einer Bioverfügbarkeit von ca. 10- 15%. Aufgrund dieser Variabilität und zur Vermeidung von Nebenwirkungen muss stets eine individuelle Dosistitration beim Patienten erfolgen.

Der Plasmaspiegel von ▵9THC und seiner Metabolite korreliert nur schlecht mit den klinischen Effekten, da diese rasch vom Blut ins Fettgewebe diffundieren, von dort langsam freigesetzt und in der Leber verstoffwechselt werden. THC ist stark an Low-Density Lipoproteine und Albumin im Plasma gebunden, nur ca. 3% liegen in freier Form vor. Es wird über CYP3A4 und CYP2C9 rasch in den aktiven Metaboliten 11-Hydroxy▵9Tetrahydrocannabinol (11-OH-THC) und in inaktives 11-Nor-9-Carboxy-▵9Tetrahydrocannabinol (THC-COOH) umgewandelt. THC wird bis zu vier Wochen im Fettgeweben gespeichert und diffundiert von dort langsam in subtherapeutischen Mengen zurück ins Blut, wird verstoffwechselt und über Urin (ca. 15-30% als THC-COOH), Schweiß und die Faeces (> 60%) ausgeschieden. Aufgrund der hohen Plasmaeiweißbindung ist THC nicht dialysierbar

Screeningtests können daher bei längerdauerndem Konsum noch Wochen und Monate nach Ende der Anwendung positive Befunde bezüglich Cannabis zeigen. Es wird daher empfohlen, PatientInnen unter Dronabinol-Therapie einen Medikamentenpass auszustellen, damit diese sich bei etwaigen Kontrollen auch als PatientInnen ausweisen können.

Mögliche Interaktionen im Cytochrom P450-System (Daten aus der Produktbeschreibung von Sativex):

Nach einer Behandlung mit dem CYP3A4-Induktor Rifampicin wurde eine Reduktion der Cmax und der AUC von THC (40% bzw. 20% Reduktion) und des Hauptmetaboliten (85% bzw. 87% Reduktion) beobachtet. Cannabis und Cannabisprodukte sind in Österreich für den medizinischen Einsatz illegal, in einigen Ländern (z.B. Italien, Deutschland, Kroatien) jedoch unter strengen gesetzlichen Vorgaben bereits erlaubt. In Österreich sind Einzelsubstanzen wie Dronabinol, das synthetische Derivat Nabilone (Canemes®) oder Cannabidiol (CBD) und das Kombinationspräparat Sativex ®(THC/CBD) rezeptierbar, die Erstattung durch die Krankenkassen wird in jedem Bundesland unterschiedlich gehandhabt.

 

Tabelle 1: Pharmakokinetik von THC – verschiedene Applikationsformen im Vergleich

Parameter inhalativ oral transmukosal
Resorption 10-30% 95% Keine Angaben
Bioverfügbarkeit 10-30% ca. 10% 10-25%
Psychotrope Schwelle/kg KG 0,06-0,1mg/kg 0,2-0,3 mg/kg KG Keine Angaben
Wirkeintritt Innerhalb v. wenigen Minuten (Maximale Wirkung nach ca. 20 min) Ca. 30-90 min (Maximum nach etwa 120 -180 min) ca. 15 min (Maximum nach 45 bis 120 min)
Wirkdauer (psychotrope Effekte) 2-3 Std. 5-8 Std. (bis zu 12 Std.) Keine Angaben

Im Rauch von Cannabisprodukten wurden mehr als 200 Verbrennungsprodukte mit potenziell kanzerogener Wirkung nachgewiesen (18). Die Konzentration an polyzyklischen aromatischen Kohlenstoffverbindungen war sogar um das Vierfache höher als bei normalen Filterzigaretten. Die hohen Cannabinoidkonzentrationen in der Lunge führen darüber hinaus zur Suppression der immunologischen Aktivität von Alveolarmakrophagen. Rauchen von Cannabis ist somit mit höheren Risiken verbunden als andere Applikationsformen und daher nicht die erste Wahl bei der medizinischen Anwendung (3,4,5,6,7).

Die preisgünstigste Cannabinoid-Therapie ist derzeit mit magistralen Zubereitungen von Dronabinol als Tropfen oder Kapseln möglich. Verfügbare Packungsgrössen: 250, 500, und 1000mg Dronabinol. Das Fertigarzneimittel Marinol® (vollsynthetisch produziertes THC), welches über die internationale Apotheke erhältlich ist, kostet in etwa dreimal soviel wie Dronabinol.

Für Dronabinol muss ein Suchtgiftrezept ausgestellt werden. Auf dem Rezept sollte die Indikation (IND) vermerkt sein, stets mit dem Zusatz „ultima ratio“. Indikationen, die am wahrscheinlichsten von den Kassen akzeptiert werden, sind: Multiple Sklerose mit Spastik-assoziierten Schmerzen, neuropathische therapierefraktäre Schmerzen, oder Krebserkrankungen: zur Schmerztherapie, gegen (chemotherapie-bedingte) Übelkeit/Erbrechen, gegen Kachexie.

Rezeptiert werden entweder Tropfen oder Kapseln, z. B.:

Dronabinol 250mg (zweihundertfünfzig Milligramm) I OP (eine Packung) magistraliter als ölige Lösung zu 10ml (zehn Milliliter) = 2,5%-ig (zweikommafünfprozentig)

Dronabinol 500mg (fünfhundert Milligramm) I OP (eine Packung) magistraliter als Kps. zu 2,5mg (zweikommafünf Milligramm) = 200 Stck. (zweihundert Stück) als Monatsbedarf.

Canemes® (Fa. AOP Orphan Pharmaceuticals)

Das synthetische Cannabinoid Nabilone (Canemes®) ist ein Derivat von Dronabinol und ebenso wie dieses ein Agonist an CB1R und CB2R. Nach oraler Gabe wird es vollständig aus dem GI-Trakt resorbiert, die Wirkung setzt nach 60 bis 90min ein und hält 8 – 12h an. Die Resorption von Nabilone ist unabhängig von der Nahrungsaufnahme und weitaus weniger variabel als die von Dronabinol. Ebenso wie Dronabinol wird die Substanz über das Cytochrom P450 System in der Leber verstoffwechselt.

Die klinischen Effekte sind vergleichbar mit Dronabinol, jedoch benötigt man aufgrund der günstigeren Resorption niedrigere Dosierungen. Da es keine direkten Vergleichsstudien gibt, kann die Äquivalenzdosis nur geschätzt werden: Nabilone ist in etwa 5-10fach stärker wirksam als Dronabinol. Auch wenn sich die klinische Wirkung nicht wesentlich von Dronabinol unterscheidet, kann Nabilone in Österreich ohne Suchtgiftvignette verschrieben werden. Da es aber teurer ist als Dronabinol, wird es meist nicht von den Krankenkassen bewilligt. Nabilone kann nicht durch die gängigen Drogentests nachgewiesen werden.

Canemes® ist in Packungen mit 1 und 2 mg Kapseln zu jeweils 28 Stück erhältlich. Da beim Therapiebeginn die Dosis mit 1mg Canemes® für viele Patienten zu hoch ist, wird auch hier eine Titration mit Kapseln zu 0,25mg (als magistrale Zubereitung) empfohlen.

Rezeptiert werden z. B. (ohne Suchtgiftvignette):

Canemes 1mg Kps. IOP zu 28 Stck. magistraliter als Kps. zu 0,25mg = 112 Stck.

Sativex® Sublingualspray (Fa. Almirall)

Sativex® ist ein Mischpräparat aus THC und CBD und ist seit 2012 in Österreich nur für Schmerzen bei Multipler Sklerose zugelassen (Suchtgiftvignette). Nach Applikation von 4 Sprühstössen Sativex® sind THC und CBD im Plasma innerhalb von 15min nachweisbar. Es besteht eine hohe Variabilität hinsichtlich Resorption und Plasmaspiegel zwischen den einzelnen PatientInnen. Ein Sprühstoß (1µl) enthält 2,7mg THC und 2,5mg CBD. CBD soll in diesem Präparat die psychotrope Wirkung von THC abmildern und die Verträglichkeit erhöhen. Die Dosierung von CBD im Mischpräparat ist jedoch zu gering (s. unter Cannabidiol), um eine eigene, klinisch relevante analgetische oder antiinflammatorische Wirkung zu entfalten.

Zu beachten ist, dass es sich um eine alkoholische Lösung handelt: Sativex® enthält circa 50 Vol.-% Ethanol, dies entspricht 40mg pro Sprühstoß. Die Alkoholmenge in der maximalen Tagesdosis (12 Sprühstöße) entspricht ungefähr der Menge von zwei Teelöffeln (10ml) Bier und einem Teelöffel (5ml) Wein, ist somit für Kinder oder Alkoholkranke nicht geeignet.

Der Preis für Sativex® in Österreich ist vergleichsweise hoch, und liegt bei etwa 700 Euro (Apothekenabgabepreis) für eine Packung mit 3 Fläschchen zu je 10 ml, entsprechend einer Monatsdosis.

Indikationen für Dronabinol, Canemes und Sativex

Relativ gut durch Studien belegt:

Weniger gut belegt bzw. nur in kleineren Studien untersucht:

Denkbare weitere Indikationen:

Eine Bewilligung für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist meist bei MS, Querschnitt und Krebserkrankungen möglich, bei den anderen Indikationen bedarf es einer ausführlichen Begründung (ultima ratio) (8 -14).

Nebenwirkungen und Kontraindikationen

Bei der Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden treten insbesondere zu Therapiebeginn sehr häufig Schwindel und Müdigkeit auf, die im Verlauf der Behandlung aber meist nachlassen. Weitere in Studien berichtete häufige Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Depression, Desorientiertheit, Fatigue, Orientierungslosigkeit, Euphorie, paranoide Reaktionen, Gedächtnisstörungen und Gangunsicherheit. Das Risiko von Tachycardie, Hypotension und akuten psychotischen Episoden ist bei Gabe hoher oraler Dosen ohne vorherige Titration sowie bei der inhalativen Anwendung erhöht.

Daher sollten Cannabinoidpräparate immer einschleichend bis zum Erreichen einer individuellen Wirkdosis titriert werden, um das Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, und psychotische Reaktionen zu verringern.

Kontraindikationen sind schwere Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie und andere psychotische Erkrankungen sowie Suchtmittelmissbrauch in der Vergangenheit. Ebenso sollten die Substanzen nicht bei schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie z.B. bei koronarer Herzerkrankung eingesetzt werden.

Bei Patienten mit chronischer Hepatitis C scheint ebenfalls Vorsicht geboten, da Cannabinoide die Entstehung einer Steatosis hepatis fördern können.

Der Einsatz von Cannabinoiden sollte auch bei PatientInnen mit Herz-Kreislauferkrankungen einer sorgfältigen Risiko-Nutzen Abwägung unterzogen werden. In der Literatur sind zahlreiche Fälle von Herzinfarkten und ischämischen Schlaganfällen (meist bei jungen Männern) – z.T. mit letalem Ausgang- nach dem Rauchen von Cannabis beschrieben. Auch wenn die zugrundeliegenden Mechanismen nicht hinreichend bekannt sind, scheinen Arrhythmien (Vorhofflimmern) und Hypotension eine Rolle zu spielen. Bisher sind keine derartigen Fälle nach oraler Gabe medizinischer Cannabinoide bekannt, jedoch ist Vorsicht geboten. Nach missbräuchlicher Anwendung illegaler synthetischer Cannabinoidsubstanzen in „Spice“ und “K2“ sind schwere Arrhythmien und cardiovaskuläre Ereignisse beobachtet worden (15,16,17).

Es gilt als gesichert, dass die dauerhafte Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden bei Jugendlichen negative, zum Teil irreversible Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung hat, die erst zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts abgeschlossen ist. Insbesondere Lernfähigkeit, Gedächtnis und Aufmerksamkeit können beeinträchtigt sein. Darüber hinaus ist eine längerfristige Anwendung bei Jugendlichen wahrscheinlich mit einem höheren Risiko für psychotische Erkrankungen, Depressionen und Angststörungen assoziiert.

Die lipophilen Cannabinoide passieren die Plazentaschranke und gelangen in das Gehirn des Foeten, wo Cannabinoid-Rezeptoren ab der 14. Schwangerschaftswoche nachweisbar sind. Cannabiskonsum in der Schwangerschaft führt zu niedrigem Geburtsgewicht. Cannabinoide treten in die Muttermilch über und können beim gestillten Säugling in den Faeces nachgewiesen werden. Die Frage, inwieweit Cannabis konsumierende Mütter ihre Ungeborenen oder Neugeborenen schädigen, ist noch nicht ausreichend geklärt.

Cannabinoid-Substanzen ohne psychotrope Wirkung

Cannabidiol (CBD) (Fa. Bionorica, Fa. Trigal), Epidiolex®, (Fa. GW Pharmaceuticals)

Das im Hanf (vor allem im Industriehanf) enthaltene, nicht-psychoaktive Cannabidiol (CBD) steht mittlerweile ebenfalls in pharmakologischer Qualität zur Verfügung (Kapseln, orale Lösung und diverse Zubereitungen zur externen Anwendung), wird aber auch im Internet und in Hanfshops als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Da CBD nicht psychoaktiv ist, kann es ohne Suchtgiftvignette verordnet werden und darf frei verkauft werden.

CBD wirkt nicht als Agonist an den CB1R und CB2R, sondern ist ein negativer allosterischer Modulator am CB1R. Daraus erklären sich die klinischen Effekte von CBD mit dem Fehlen einer eigenen und der Modulation der psychotropen Wirkung von THC.

Seine klinische Wirkung entfaltet CBD durch seine Eigenschaft als sog. „multitarget drug“ CBD moduliert die Funktion zahlreicher anderer Rezeptoren und wirkt durch seine polyphenolische Struktur direkt als potentes Antioxidans. CBD blockiert den Equilibrative Nucleoside Transporter (ENT), den G-protein-gekoppelten Rezeptor GPR55, aktiviert TRPV1 und 2 TRPV2-Kanäle.Zudem hemmt CBD das Enzym Fettsäureamidohydrolase (FAAH) und verhindert die Wiederaufnahme und den Abbau des Endocannabinoids Anandamid, um nur einige der Effekte aufzuzählen.

CBD wird in der Leber durch CYP3A4 und CYP2C19 zu 7-OH-CBD metabolisiert. Basierend auf in vitro Daten kann eine inhibitorische Wirkung von CBD auf p-Glykoprotein im Darm nicht ausgeschlossen werden. Vorsicht ist deshalb angebracht bei gleichzeitiger Behandlung mit Digoxin und anderen Arzneimitteln, die als Substrate für p-Glykoprotein dienen.

Klinisch wirkt CBD analgetisch, antiepileptisch, antipsychotisch und antiinflammatorisch und zeichnet sich durch gute Verträglichkeit aus. Klinische Studien gibt es vor allem zur antipsychotischen und antiepileptischen Wirkung. Bei Kindern mit Dravet-Syndrom wurden erste vielversprechende Ergebnisse erzielt. Beim Dravet-Syndrom handelt es sich um eine genetisch determinierte, sehr schwere therapierefraktäre kindliche Epilepsieform, die zu Störungen der psychomotorischen Entwicklung und erheblichen kognitiven Defiziten führt. Dies hat zur „Fast-track“- Zulassung von CBD unter dem Namen Epidiolex® in USA für schwere kindliche Epilepsieformen (Dravet-Sy., Gastaut – Lennox- Sy., Tuberöse Sklerose) geführt, da konventionelle Antiepileptika hier nur begrenzt wirksam sind (Devinsky 2014). Basierend auf den Ergebnissen der Grundlagenforschung wird vor allem bei entzündlich bedingten Schmerzen (z.B. rheumatischer Formenkreis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen) und bei neuropathischen Schmerzen eine gute Wirksamkeit von CBD erwartet, große klinische Studien dazu stehen aber noch aus.

Die Dosierung von CBD liegt weitaus höher als die der psychoaktiven Cannabinoidsubstanzen. Für eine klinisch relevante analgetische und antientzündliche Wirkung sind Tagesdosen von 400-600mg CBD notwendig. Auch bei der Therapie mit CBD wird eine einschleichende Dosistitration empfohlen. Man beginnt meistens mit 100mg CBD am Abend und steigert langsam bis zur gewünschten Tagesdosis. Die Dosis wird in der Regel am Abend eingenommen, kann aber bei Bedarf auf Mittag und Abend aufgeteilt werden. Die in Studien wirksame Dosis bei Kindern mit schweren Epilepsieformen war 20mg/kg KG (19,20,21).

Aufgrund der schlechten Datenlage wird CBD nur in wenigen Ausnahmefällen bei Kindern mit schweren Epilepsieformen als „ultima ratio“ von den Krankenkassen bewilligt.

Mögliche Indikationen für CBD

Rezeptiert werden magistrale Zubereitungen von CBD, z. B. Kapseln zu 100 oder 200mg oder eine ölige Lösung mit 10% oder 15% CBD-Gehalt. Lösungen mit niedrigerem CBD-Gehalt sind aufgrund der notwendigen Tagesdosis in der Regel zu niedrig konzentriert.

Zum Einsatz von Cannabinoiden als Analgetika

Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen im Bewegungsapparat oder anderen benignen chronischen Schmerzsyndromen (Plexusausriss, HIV-assoziierte Polyneuropathie, rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie) liegen nur sehr wenige Studiendaten von ausreichender Qualität vor, so dass der Einsatz von Cannabinoiden erst bei unzureichender Wirkung von Erst- oder Zweitlinientherapien in Erwägung gezogen werden sollte. In den meisten Studien ergab sich eine statistisch signifikante analgetische Wirkung, allerdings konnte das klinische Ausmaß der Schmerzlinderung die Erwartungen nicht immer erfüllen. Die durchschnittliche Schmerzreduktion lag im Bereich von ca. 30%, andere Cannabinoideffekte wie Verbesserung von Nachtschlaf, Coping und Stimmungslage brachten allerdings einen zusätzlichen Gewinn an Lebensqualität für die Patienten.

Bei akuten Schmerzen können Cannabinoide grundsätzlich nicht empfohlen werden. Für eine wirksame Schmerzbehandlung ist die Gabe höherer Dosen (>5mg) erforderlich. Der Einsatz von Dosierungen >5mg ohne vorherige Titration führte in klinischen Studien häufig zu starken (psychotropen) Nebenwirkungen und der analgetische Effekt war nur schlecht vorhersehbar. In einigen Studien wurden sogar Schmerzverstärkung und Hyperalgesie beobachtet (22,23).

Verordnung von Cannabinoiden

Cannabinoide sind für alle der genannten Indikationen Medikamente der zweiten oder dritten Wahl. In nationalen und internationalen Leitlinien wird der Einsatz erst dann empfohlen, wenn mit konventionellen Standardmedikamenten kein ausreichender Erfolg erzielt werden konnte.

Die Erstattung des Medikaments wird für jeden einzelnen Patienten durch die jeweilige Krankenkasse geprüft und entschieden. Empfehlenswert ist eine Kontaktaufnahme mit dem Chefarzt der zuständigen Krankenkasse durch den Behandler vorab. Dabei ist es wichtig, eine gute und fundierte Begründung für die Cannabinoidtherapie vorzubringen, gegebenenfalls Literatur beizulegen und nachzuweisen, dass Standardtherapieverfahren nicht wirksam oder mit intolerablen Nebenwirkungen verbunden waren. Die genaue Dokumentation der Wirkung der Cannabinoidtherapeutika durch Patiententagebücher ist ratsam, um ein Absetzen oder ein Fortführen der Therapie rechtfertigen zu können.

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